Michael G. Fritz

DIE LUFT IST NOCH IMMER GELB VOR REGEN


DIE LUFT IST NOCH IMMER GELB VOR REGEN, als das Flugzeug mit großer Verspätung von Marco Polo abhebt, es hat nach dem Sturm so lange warten müssen, bis ihm wieder sein Platz auf dem vollkommen verplanten Himmel zugewiesen werden kann. Es geht zu wie auf unzähligen, sich immer wieder und auf verschiedenen Ebenen kreuzenden Fließbändern. Daran, dass das Personal sich aufgeregt zeigt und dennoch uns mit ständigen Durchsagen zu informieren und im Grunde zu beruhigen sucht, lässt sich ermessen, wie ernst die Lage ist, oder? Die Lagune wird in weitem Bogen bestrichen, gibt sich aber kaum zu erkennen: im Bullauge nur ein Schimmer der illuminierten Stadt, der bald verlischt. Ich möchte Wein bestellen, was ich auf Italienisch erledige, an das ich mich in den letzten Monaten gewöhnt habe, ernte aber ein Stirnrunzeln. Mit der Fluggesellschaft befindet man sich auf britischem Boden und hat gefälligst sein Englisch zu bemühen! Hinter den Alpen verbessert sich die Sicht, nach weniger als zwei Stunden bricht der heimatliche Zeuthener See, der Strand von Schmöckwitz im sommerlichen Abendlicht mit Macht durch die Scheibe, dass ich heftiger atme. Der Wald, der sich auftut, besteht nur aus Kiefern, den Pinien des Nordens, und ich bleibe damit immer auch ein wenig in Venedig. Ich suche auf dem Rollfeld, in der Abfertigungshalle nach dem Freund, der hier im Flughafen arbeitet, die Maschinen entlädt und weiß, wohin in dem unübersichtlichen Areal er das Gepäck zu fahren hat. Ich rufe für mich in der herben Sprache des Landstrichs: Los Jörgi, mach schon, ick will heute noch nach Hause, und lache über mich und den vermeintlichen Scherz, kann mich gar nicht halten vor Lachen, dass die Passagiere ringsum sich über meine Freude wundern: Fällt ihm nach der geglückten Landung erst jetzt ein Stein vom Herzen? Aber mein Ruf bleibt ungehört. – Kunststück, der Freund ist nicht hier, höre ich später, man hat ihn Tage zuvor mit Blaulicht ins Krankenhaus bringen müssen. Sein Herz hat starrsinnig auf einem eigenen Rhythmus bestanden, dann, längst wieder daheim, zu schlagen aufgehört, im Mittagsschlaf, ohne Vorwarnung, zwischen zwei Atemzügen, einfach so.