Michael G. Fritz

Auffliegende Papageien


Michael G. Fritz
Auffliegende Papageien
Roman
256 S., 130 x 200 mm
Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2019
ISBN 978-3-96311-252-2
Preis: 14,- €
ET: Oktober 2019

Cover Auffliegende Papageien

Rezensionen


Papageien unterm Pavillondach
Durch den Berner Regen: 36 Minuten
von Francesco Micieli

Die Maske erschwert mir das Atmen, doch wer nicht zu Hause bleibt, sollte eine anziehen, auch wenn man sich selbst etwas fremd vorkommt darin. Ich habe das Buch unter die Regenjacke geklemmt, es gibt in der Orangerie Elfenau einen Pavillon mit gutem Dach. Das ist der Ort für das Buch, offen und schützend zugleich.
Bücher sollte man am richtigen Ort lesen. Mit seinem ganz eigenen magischen Realismus ist Michael G. Fritz der Latinoautor aus Ostdeutschland. Beim Gehen habe ich das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Die Stadt ist in den Wohnungen eingesperrt. «Arno schloss die Tür ab und legte sich angezogen aufs Bett, als spielte er noch mit dem Gedanken an Flucht.» Die Gegenwart verändert die Vergangenheit, aber wenn sich letztere wehrt, kann sie gar die Gegenwart verändern.Eindrucksvoll spielt der Autor mit dieser Einsicht und seine Sprache schärft das Ganze. Vergangenheit und Gegenwart verbinden sich in Bildern und gehen durch das Hirn und den Magen. «Arnos Mass für die Qualität der Bilder bestand darin, dass er bei deren Anblick Appetit bekommen musste, (...), bis sich ein Gefühl von Leere einstellte, die er unbedingt zu füllen trachtete.» Bei diesem Satz meldet sich bei mir der Hunger. Lesen macht hungrig, nach mehr.
Auf der anderen Seite des Pavillons entdecke ich eine Frau mit Stoffmaske, darauf ein Papageienmuster. Ich bin mir sicher, es ist eine Fritz'sche Inszenierung. Diese Frau stammt aus seinem Buch, wie die beiden Frauen im Leben von Arno, die dasselbe Tattoo haben, Symbole der gegenseitigen Angriffe von Erinnerung und Jetzt. «Und weil wir es sind, die die wahren Interessen des Volkes vertreten, lassen wir uns nicht mehr von dort wegwählen.» So möchte die Geschichte die Kontrolle übernehmen, während Arno «zum erstenmal begriff ... dass das Feuer unweigerlich ein Loch ins Eis fressen würde». Die grosse Liebesgeschichte, die untergegangen geglaubte Welt leben im Roman wunderbar weiter – und bleiben so Teil der Wirklichkeit.

Buch:Michael G. Fritz: Auffliegende Papageien. Halle (Saale):Mitteldeutscher Verlag, 2019.

Francesco Micieliist Schriftsteller. Zuletzt von ihm erschienen: «VomVerschwinden der Cousine» (Zytglogge, 2019). Von2011 bis 2017 verfasste er für den «Literarischen Monat» die Kolumne «Micieli reist». Er lebt in Bern.

Literarischer Monat. Das Schweizer Literaturmagazin 7/2020


Michael G. Fritz erweist sich darin einmal mehr als hintergründiger Erzähler, der die verschiedensten Tonarten beherrscht, die er zu einem sehr eigenen, oft lakonisch grundierten Sound zu mischen versteht. Am Ende erkennt man, dass sich die Vergangenheit, von der die Rede ist, nicht einfach abwickeln ließ. Doch zugleich ahnt man, dass sie sich in unseren Erzählungen immer weiter verändert. Fritz erzählt davon, dass die Wiederkehr der DDR in der Gegenwart kein Gespenstertreiben ist, dass sie auch nicht in nostalgischen Momenten bloß aufblitzt, sondern dass sie mit dem heutigen Leben tief verwachsen ist und sie uns in ihrer befremdlichsten Form als paradoxe Logik des Unvergangenen begegnet.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.3.2020



"In all diese Privatissimi versteckt Michael G. Fritz jede Menge gesellschaftlicher Entwicklungen aus sogenannter Wendezeit und Gegenwart. Mit einem wahren Feuerwerk der Fabulierkunst bringt Fritz das Paar - vielleicht? – wieder zusammen."

SAX, DAS DRESDNER STADTMAGAZIN 3/20


"Das Neue hört nie auf, wie das Alte zu sein" Da hat der Autor Michael G. Fritz einen Satz auf Seite 14 seines neuen Buches, das den bemerkenswerten Titel "Auffliegende Papageien" trägt, in die Welt getragen, der sich beinahe mit demlegendären Ausruf von William Faulkner "Das Vergangene ist nicht tot, es ist noch nicht einmal vergangen" vergleichen lässt. In der Tat, ein weiser Satz von großer Tiefe und Lebensechtheit. Aber auch sonst ist das neue Buch des Dresdner Berliners bemerkenswert. Fast von Beginn an wird eine Spannung aufgebaut, die sich bis in die Nähe eines politischen Thrillers mausert. Eigentlich ein Filmskript, denn so bildhaft und einprägsam ist es geschrieben. Nico Hofmann sollte es lesen. Nein, da ist nichts von Altersmüdigkeit des Autors zu erkennen, im Gegenteil, das Buch sprüht nur so von Einfällen, einprägsamen Beschreibungen und überraschenden Beobachtungen. Da hat der Mitteldeutsche Verlag einen guten Wurf getan, nach all den Regionalika und Sachbüchern. Es scheint,die Belletristiksparte erlebt dort ein Comeback. Das wäre gut. Mit Fritz könnte ein Anfang gemacht sein. Also, ich will bei so spannender Lektüre nicht vorgreifen. Das muss jeder selber lesen... indes, Fritz erweist sich einmal mehr als subtiler Analyst der Nachwendepolitik und als ein Kenner menschlichen Beziehungswirrwarrs. Ja, die Frauen scheinen es ihm angetan zu haben. Da hat er in den letzten Jahren ja schon ein paar wunderbare Typen geschaffen. Tante Laura usw. Wo nimmt er sie nur her? Alles kann da nicht bloß aus der Phantasie kommen. Sind Frauen seine heimliche psychologische Leidenschaft? Gezeichnet sind sie jedenfalls allesamt, auch die in seinem neuen Buch, sehr plastisch und lebensecht. Man kann gespannt sein, was der Autor uns noch so alles servieren wird...

Rezension auf amazon von Nolle Bollmann


Hauptsächlich wird der Leser hineingezogen in Arnos Welt, die für ihn unerwartet erotische Überraschungen bereithält. Gekonnt erzählt, gewürzt mit Pointen und verblüffenden Wendungen, dazu in fast unmerklichen Übergängen von realer Handlung in Traumwelten, wird das Zwischenmenschliche zum Lesevergnügen.

Freie Presse, 20.12.2019


Auf elegante Weise, in einer Prosa, deren raschen Schritten man mit Genuss folgt, verknüpft Fritzeine Liebesgeschichte mit einem Fall von Vereinigungskriminalität.

Dresdner Neueste Nachrichten, 28.11.2019


Für den Autor Fritz ist der Umgang mit deutscher Vergangenheit ein wichtiger Teil seines Schreibens. In seinem neuen Roman "Auffliegende Papageien" nimmt das Rumoren der Vergangenheit mit dem wachsenden Abstand durchaus nicht ab. Aber Fritz setzt eine Liebesgeschichte davor… Michael G. Fritz weiß spannend zu erzählen, holt Zeit zu Zeit schöne Landschaftsbeschreibungen in den Text hinein und kann Figuren bauen, die sich lebendig durch die anschwellende Handlung bewegen. Vielleicht ist ihm im siebten Roman sogar eine stärker geschlossene Dramaturgie für die erzählte Geschichte gelungen als in vorangegangenen. "Auffliegende Papageien" ist eine unbedingte Leseempfehlung.

Sächsische Zeitung


Aber unübersehbar fühlt der Protagonist sich auch in der neuen Zeit nicht wirklich aufgehoben, auf gewisse Weise heimatlos und entwurzelt... Kann das sein, dass Fritz gerade mit dieser Szene auf dem Eis dem nahekommt, wie viele Ostdeutsche heute ihr Leben empfinden? Als ein Versuch, irgendwie zu ignorieren, wie brüchig das Eis ist, wie seltsam die Situation, nie wirklich anzukommen, nie wirklich dazuzugehören? Also doch irgendwie gezwungen, sich selbst zu wärmen am Feuer?

Leipziger Internetzeitung


"Wieder taucht Michael G. Fritz tief ein in die schönste Sache der Welt – in die Liebe. Unerwartet erwächst sie dieses Mal aus einem irrtümlich mit angekettetem fremden Fahrrad. Dabei hat Arno, freier Journalist, passionierter Radfahrer und Mitte der Fünfzig, sich in einem Leben ohne feste Beziehung eingerichtet, seit seine Jugendliebe Angelika vor fast dreißig Jahren verschwand."

Ostthüringer Zeitung 16.1.2020


"In schöner Regelmäßigkeit legt der in Dresden und Berlin lebende Autor Michael G. Fritz Erzählbände und Romane vor. Was sie vereint, ist ihr leicht lesbarer Stil und ihre Doppelbödigkeit. Auch sein soeben erschienener Roman ‚Auffliegende Papageien' ist einmal mehr ein entdeckenswertes Buch."

MDR Kultur, 13.1.2020


Leseprobe


Nachdem ihn Angelika verlassen hatte, bildeten sich bei ihm Marotten heraus. Er hielt weiterhin an der Arbeit in der Redaktion fest, zu der er kam, als sein Ostberliner Landwirtschaftsverlag in der Wendezeit eingegangen war und er in der Zeitung angeklopft hatte. Arno hatte Biologie studiert, war Lektor gewesen, nun durfte er als Volontär anfangen. Allerdings hatte er es nie zu einer Festanstellung gebracht, er landete in dem wenig befriedigenden Status der festen Freien. Mit einem Ritus beendete er seinen Arbeitstag. Er sah an der Wand im U-Bahnschacht einen Punkt, von dem Rauhputz abbröckelte, wodurch rote Ziegelsteine freigelegt wurden, die ein rostiges Drahtgeflecht überspannte, das vibrierte, sobald die U-Bahnen das Mauerwerk in Schwingungen versetzten. Die Ziegelsteinfläche veränderte ständig ihre Gestalt. Sie hatte Arno anfangs an ein Gesicht erinnert, das zu einem Mann gehörte, dann an eine weit geöffnete große Hand, jetzt, ziemlich amorph, sah es aus wie die Umrisse von Rußland. Er hatte den abstrusen Beschluß gefaßt, daß er von dieser Stelle an seinen Tag hinter sich ließ, wie man eine Tür abschließt und den Schlüssel umdreht - eine Marotte eben. Zurück blieben die Redaktion, die Zeitung, dieses Leben, das er außerhalb seiner vier Wände führte, wenn er aus dem U-Bahnschacht in den Abend hochstieg, wo ihn der Autolärm empfing. Arno strich mit der Hand über das Geländer und wischte dabei die Feuchte vom rostigen Eisen, schnippte sie zur Seite weg, die auf das Laub neben dem Weg mit einem feinen Ton perlte.
Am Fahrradständer schreckte er auf, im gleichen Moment zog es so sehr in der Magengrube, daß er seine Faust gegen den Mantel in den Bauch drückte. Er hatte heute früh nicht nur sein Fahrrad angeschlossen, sondern in seiner Müdigkeit noch ein anderes, ein Rad mit lilafarbenem, dünnem Rahmen, leicht wie eine Feder, ein Stevens, wie er sofort erkannte, ein nicht gerade preiswertes Rad. Am Gepäckträger von Arnos Fahrrad klemmte ein Zettel: "Ihretwegen mußte ich ein Taxi nehmen. Schließen Sie bitte mein Fahrrad morgen nicht wieder an! L. Laube."
Es war das Ausrufezeichen, das seinen Schmerz in der Magengegend erneut aufflammen ließ: ein Zeichen wie ein vernichtendes Urteil. Natürlich konnte er nichts anderes erwarten. Der Zettelschreiber bat ihn zwar, aber es war ein Appell an seine Aufmerksamkeit, an der zurecht gezweifelt werden mußte. Was hatte er nur angestellt! Er war zerstreut, weil er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte: Statt des gewohnten Umschlags mit dem Geld lag der Brief im Kasten, in dem ihm eine Maschinenschrift mitteilte, daß die Zahlungen an ihn von nun an eingestellt würden, immerhin pro Quartal zweitausend EURO. Die Begründung, das konnte nicht übersehen werden, war mehr als fadenscheinig: Er hätte längst Fuß gefaßt in der neuen Zeit, verdiene sein monatliches Fixum und hätte sich eingerichtet, benötige also die Zahlungen nicht mehr. Von wegen! Er hatte sich natürlich an das Geld gewöhnt, die Summe eingeplant, die, wenige Wochen nachdem Angelika ihn verlassen hatte, von nun an regelmäßig ins Haus flatterte. Beim ersten Mal hatte er den Umschlag, der weder durch die Post zugestellt noch an ihn adressiert worden war, beim Treppensteigen aufgerissen. Erschrocken hatte er sich umgedreht, verstohlen den Umschlag in die Manteltasche gesteckt und oben nachgezählt: zwanzig gebrauchte Einhundert DM-Scheine. Sie waren gebraucht, ohne abgegriffen zu sein, auch später die EURO-Banknoten. Verstohlen drehte er sich immer um, wenn er an dem bestimmten Tag den Kasten aufschloß. Es war ihm weder klar, wie der Bote ins Mietshaus kam, noch wer ihm das Geld zusteckte. Er hatte eine vage Vermutung, war aber dem Gedanken nicht nachgegangen; niemand hätte ihm Auskunft geben können. Er nahm es als Entschädigung für den Verlust von Angelika, als Entschädigung für das Mißtrauen der Polizei, dem er in den ersten Jahren ausgesetzt gewesen war, die geglaubt hatte, er stecke mit ihr und ihrem Freund unter einer Decke; er nahm es einfach hin, weil es die einfachste Lösung war: als Entschädigung für alle Enttäuschungen seines Lebens.